Immer noch ein 24MP Sensor, 3 statt 5 Knöpfe zur Bedienung, immer noch das gleiche Wahlkreuz auf der Rückseite, keine Videooption mehr, dafür ein ISO Wahlrad – viel scheint sich bei der Leica M10 im Vergleich zur M (Typ 240) nicht geändert zu haben. Aber das täuscht! Nach rund vier Wochen mit der M10 kann ich sagen: plötzlich habe ich mit der Leica eine moderne Kamera in der Hand. Und genau die „Immer-dabei-Kamera“ nach der ich so lange gesucht habe. Aber der Reihe nach…
Zwei Vorabbemerkungen:
- Meine M10 wurde mit Firmware 1.0.2.0 ausgeliefert, seit Anfang der Woche gibt es 1.3.4.0 als nächste und neuste Firmware (spannende Zählweise bei Leica…). Sollte das bei der Beschreibung der Leica M10 eine Rolle spielen, habe ich das im Text kenntlich gemacht.
- Kamera-Reviews im Netz finde ich immer sehr zweifelhaft, das betrifft meinen eigenen Text natürlich auch: zum einen nutze ich nur einen Teil der möglichen Funktionen und nur auf diese kann ich hier auch eingehen. Ich bin kein professioneller Kameratester, ich bin nur Anwender und schreibe hier meine Erfahrungen auf. Zum anderen habe ich es mir angewöhnt, nicht über mangelnde Performance zu jammern. Meistens finde ich Wege, dies – wenn notwendig – zu umgehen. Das ist ein Grund, warum ich auch schon mit der Leica M(Typ 240) gut zurecht gekommen bin oder auch adäquates mit analogen Kameras hin bekomme. Dramatisch finde ich im Netz, dass ich bei sehr vielen Texten zu Hardware das Gefühl nicht los werde, diese kommt viel zu gut weg. Das kann unterschiedliche Gründe haben. Es liegt die Vermutung nahe, dass es an den Affiliate Links liegt, mit denen dann gutes Geld verdient wird. Deswegen der Hinweis: ich habe die Kamera selbst gekauft, ich stehe in keiner Abhängigkeit zur Firma Leica, im Text sind keine Affiliate Links und ich muss mir meine Geldausgabe nicht selbst schön reden.
TL;DR: Die Leica M10 ist die beste Rangefinder von Leica und eine Kamera auf aktuellem Niveau anderer Kamerahersteller. Vor allem die High ISO Performance, das eingebaute WLAN und das reduzierte und aufgeräumte Bedienkonzept weiß zu begeistern.
Sensorvergleich Leica M10 zur M240:
Der Sensor der Leica M10 hat immer noch die gleichen 24MP wie auch schon das Vorgängermodell. Allerdings hat sich die Farbgebung geändert. Hier mal ein Beispiel für einen direkten Vergleich zwischen M10 und M240. Ich habe beide Bilder in Lightroom exakt gleich (minimal) bearbeitet. Um einen eventuell unterschiedlichen automatischen Weißabgleich auszugleichen, habe ich diesen manuell vorgenommen: beide Bilder haben die gleiche Temperatur und die gleiche Tonungswerte, trotzdem sehen sie unterschiedlich aus.
Die Farbgebung der Leica M10 hat einen kleinen Hang zum Grünlichen. Das ist zum einen gut auszugleichen und zum anderen gut für Portraits. Der viel nuanciertere Umgang einer Leica mit Farben (zum Beispiel gegenüber meinen Nikons) hat mich schon bei der M240 begeistert. Das hat sich natürlich nicht geändert. Und noch etwas siehst du bei diesem Bildvergleich: bei ISO400 gibt es zwischen den beiden Kameras keinen Unterschied im Rauschen oder dem Dynamikumfang. Selbst bei ISO800 konnte ich keine nennenswerten Unterschiede feststellen. Wenn du also hauptsächlich mit niedrigen ISO Werten unterwegs bist, gibt es keine Notwendigkeit für ein Upgrade. Das war auch der Grund, warum ich zunächst etwas ernüchtert von meiner neuen Leica Anschaffung war. Dieser Eindruck wurde noch dadurch bestärkt, dass der Sensor immer noch sehr empfindlich auf Überbelichtung reagiert. Die Vokabel „highlight recovery“ kannst du einem Leica Nutzer aus dem Sprachschatz streichen.
Meine erste Ernüchterung legte sich aber stückchenweise, mit jedem Tag den ich beim Fotografieren mit der Leica M10 verbrachte.
High ISO:
Sehr schnell bemerkte ich, dass sich das Rauschverhalten stark verbessert hat, besonders gut bei hochgezogenen Tiefen zu sehen. Einen der Schwachpunkte bei der nun 4 Jahre alten M (Typ 240) zeigt das nachfolgende, zugegebenermaßen nicht besonders attraktive Beispiel eindrucksvoll. Jeweils fotografiert mit ISO1600 bei Blende 2 und einer Belichtungszeit von 1/12s. Das erste Bild zeigt das komplette Bild, wie ich es aufgenommen habe. Danach siehst du die in Lightroom nur in der Belichtung bearbeitete Variante aus der M10 und aus der M240 – jeweils um 3 Blendenstufen aufgehellt ohne weitere Anpassungen. (Anklicken machen die Bilder größer.) Das „charakteristische“ Banding der M240 ist im bläulichen Bereich des Bildes gut zu sehen – Querstreifen über das Bild. Natürlich ist auch das Rauschen ein ganz anderes.
Wenn du auf die Kabelfarben im unteren rechten Bereich schaust, siehst du auch, dass Leica die Sensordaten nun anders ausliest und offensichtlich Farbinformationen anders interpoliert, um so das Farbrauschen zu minimieren. Gerade der Rotkanal leidet darunter etwas und es ist bei HighISO Aufnahmen sinnvoll, diesen Kanal in der Bearbeitung der RAWs nachträglich zu verstärken.
Um nicht missverstanden zu werden: wenn du das Bandingproblem der alten M(240) kennst, vermeidest du es einfach. Wenn ich früher im Dunkeln fotografierte, überbelichtete ich einfach. Nachts entsprechen ausgefressene Lichter dem menschlichen Eindruck der Begebenheiten eher als tagsüber. Selbstverständlich ist es ein beruhigendes Gefühl, wenn du plötzlich Reserven hast und die liefert die Leica M10 nun.
Noch nie waren hohen ISO Werte die Stärke einer Leica. Aber die M10 ist ähnlich bahnbrechend wie damals meine Nikon D3! Nun kann ich fünfstellige ISO Werte aufrufen und brauchbare Bilder machen – nachfolgendes ist mit ISO16000 aufgenommen. Und das mit einer Leica. Unfassbar!
Auch werden die Details selbst bei ISO6400 sehr gut herausgearbeitet – gut zu sehen an den Haaren des jungen Menschen im Vordergrund.
Sucher:
Der Sucher wurde bei der Präsentation der Leica M10 als deutlich verbessert zum Vorgängermodell angepriesen. Das kann ich so nicht bestätigen. Die Verbesserungen in Größe und Klarheit sind für meinen Geschmack eher homöopathischer Natur. Als Brillenträger kann ich nach wie vor die 28mm Begrenzungsrahmen nicht überblicken. Da widerspreche ich klar dem Marketing von Leica. Ist mir aber wurscht (siehe Vorbemerkung oben), weil der Begrenzungsrahmen eh nicht hundertprozentig den Bildausschnitt definiert. Sollte mir das mal wichtig sein, nutze ich LiveView, den Aufstecksucher oder croppe hinterher im Bildbearbeitungsprogramm meiner Wahl. Ja, Frevel – ich croppe!EinsElf. Allerdings ist es mir (siehe zwei Sätze vorher) meistens wurscht.
Nach wie vor ist das Sucherkonzept eines Rangefinders für mich die beste Wahl für gut komponierte Bilder. Die Exaktheit eines Leica Suchers sucht seinesgleichen auf dem Markt.
Benutzerkonzept:
Drei Millimeter können tatsächlich einen Unterschied machen. Die Leica M10 ist gegenüber der M240 diese 3 Millimeter schmaler und 20g leichter. Das klingt nicht nach einem nennenswerten Mehrwert und trotzdem liegt die M10 wunderbar in der Hand, dagegen wirkt die M240 fast wie Moby Dick. Von wenigen Millimetern in der Höhe abgesehen ist es Leica damit wirklich gelungen, die alten analogen Ms ins digitale Zeitalter hinüberzuretten. Wenn Du dir die Unterschiede bei allen anderen Kameraherstellern zwischen analogen und digitalen Gehäuse anschaust, ist das nicht hoch genug zu bewerten. Es gibt keine kleinere Kleinbildkamera mit Wechselobjektiven. (Komm mir jetzt nicht mit Sony – die Überschrift hier heißt Benutzerkonzept.)
Mit nur drei Knöpfen auf der Rückseite der Kamera schafft Leica ein wunderbar reduziertes Bedienkonzept – und den Liveview Knopf nutze ich so selten, dass ich auch auf diesen verzichten könnte. Auch das Menü wurde entschlackt. Es gibt schon nicht mal die Option einen Farbraum zu wählen, denn bei RAWs spielt das eh keine Rolle und in JPGs wird das problemlos auf allen System darstellbare sRGB eingebettet. Im neuen Favoritenmenü kann ich individuell die Optionen schnell aufrufen, die ich am Häufigsten verwende. Wünschenswert wäre hier, wenn ich auch die Reihenfolge selbst bestimmen könnte. Aber vielleicht kommt das noch. So sind mit der neuen Firmware die Anzahl der wählbaren Favoriten im Menü verdoppelt worden.
Monitor:
Der Monitor ist gegenüber dem Vorgängermodell leicht größer geworden. Die Anzeige der Bilder im Review wurde stark vereinfacht. Es gibt nur noch zwei Ansichten: das komplette Bild oder die Anzeige mit den wichtigsten Informationen, die ich im Menü individuell auswählen kann.
Besonders mag ich ein spielerisches Element in der Anzeige der Bildanzahl: nicht nur, dass ich die Nummer des aktuell angezeigten Bildes sehe (im obigen Beispiel 58), sondern ein kleiner grüner Punkt auf der weißen Linie zeigt die Position des angezeigten Bildes innerhalb aller meiner Bilder auf der Speicherkarte. Das erinnert mich an die alte Filmanzeige der Hasselblad Magazine.
Übrigens zeigt der Info-Bildschirm nun auch, wie viele Bilder wohl auf der Speicherkarte Platz haben. Und ich kann auf der Bildanzeige mit dem Daumenrad ganz nah ranzoomen, ohne beim Erstellen auch mit JPG fotografieren zu müssen. Jede DNG RAW Datei hat ein voll aufgelöstes JPG eingebettet – so wie bei allen heutigen Kameras (meines Wissens nach). Das ist tatsächlich neu für Leica und erhöht die Anzahl der Bilder, die auf die Speicherkarte passen und den Benutzerkomfort.
ISO-Rad:
Hardware-Highlight der neuen M10 ist natürlich das neue ISO Rad. Es ist dem alten Filmrückspulknopf nachempfunden und hilft sehr schnell die richtige ISO einzustellen.
Das Einstellrad ist wunderbar gegen zufälliges Verstellen gesichert und trotzdem wahnsinnig schnell in der Bedienung. Damit ermöglicht mir die Leica M10, selbst bei den eiskalten Temperaturen der letzten Wochen, die Bedienung komplett mit Handschuhen. Grandios!
Reaktionszeiten:
Erfreulich ist die deutlich verbesserte Einschaltzeit der M10 gegenüber der M240. Ich warte nun rund 50% kürzer bis ich Losfotografieren kann. Das ist immer noch fast eine Sekunde länger als bei meinen Nikons, aber trotzdem schnell genug, um nicht merklich auf die Kamera warten zu müssen. Auch wenn die M10 nun 5 Bilder pro Sekunde machen kann und einen doppelt so großen Buffer (2GB statt 1GB) als die M240 hat, unterstützt sie immer noch keine schnellen SD Karten. Das Schreiben der Bilderserien auf die Speicherkarte dauert einfach zu lange. Das ist nicht 2017-like und dringend verbesserungswürdig. Glücklicherweise fällt das im normalen Fotoalltag nicht so stark auf wie ich zunächst vermutete. Und es hat den Vorteil, dass ich weiterhin die langsamen, preiswerten SD Karten kaufen kann. Mit der Firmware 1.3.4.0 können nun sogar 128GB Karten verwendet werden, was ich nie tue und auch nicht empfehlen würde.
Der Autofokus ist immer noch lausig, aber die Auslöseverzögerung nach wie vor erstklassig. Dank des Fensters, durch das ich als Sucher schaue, kann ich jede Situation in Realtime optimal beachten und jede Auslösung bannt das auf den Chip, was ich gerade beobachte.
Die Vorteile des „Optical Viewfinders“ finden nun langsam auch den Weg in den Electronic ViewFinder. Stark verbessert wurde die Reaktionszeit vom LiveView. Die „Schwarzzeit“ zwischen zwei Auslösungen wurde in der Firmware 1.3.4.0 nochmal erheblich reduziert und ist nun auf einem sehr brauchbaren Niveau. Mit dem Aufstecksucher (Visioflex Typ 20) ist es nun erstmals möglich, die Ausschnittvergrößerung innerhalb des Suchers zu verschieben. Damit ist ein Scharfstellen auch mit dem Noctilux in Randbereichen möglich.
Die Batterien sind in der Leica M10 zwar kleiner geworden und die Verwendung von WLAN benötigt zusätzliche Power, aber ich komme immer noch einen kompletten Tag des Fotografierens mit einer Batterie aus.
WIFI:
Und kaum hast du nach der atemberaubenden High ISO Performance wieder Luft geholt, merkst du auch schon, dass du mit dem eingebauten WLAN und der dazugehörigen App (aktuell nur für Geräte mit Apfel) wirklich eine moderne Kamera in den Händen hältst. OK, in der aktuellen Firmware 1.0.2.0 gibt es noch ein paar kleiner Bugs, aber die sind absolut verschmerzbar und schmälern nicht die Nutzbarkeit der Funktionalität. Letzte Bugs wurden mit der Firmware 1.3.4.0 ausgemerzt. Jetzt wünsche ich mir nur noch, dass beim Übertragen der Bilddaten die Exifdaten nicht verloren gehen. Denn da steht mein Name drin. Das ist durchaus ein wichtiger Punkt beim nachträglichen Urheberrechtsnachweis – falls auf Social Media mal was schief läuft…
So kann ich noch im Flugzeug sitzend ein Bild auf Twitter posten.
Nur dicker, aber nicht größer als ein iPhone 7+, dafür mit allen Fertigkeiten, die eben eine echte Kamera ausmacht, ist die Leica M10 wirklich die perfekte „Immer-dabei-Kamera“! Zumal sie auch ordentlich Platz im Portemonnaie macht…
Fazit:
Mit der Leica M10 ist Leica eine nahezu perfekte Kamera gelungen. Zusammen mit den besten Linsen dieser Baugröße auf dem Markt, macht die Verwendung der M10 jeden Tag auf’s Neue Spaß. Toll, dass trotz des 50 Jahre alten Konzepts der Sprung in die neue Technologie gelungen ist. Die M10 gebe ich so schnell nicht mehr aus der Hand…