Millerntor Gallery Millerntor Gallery

art creates love

“Wir haben uns gestern Abend die ganze Zeit auf englisch unterhalten. Das war gar nicht nötig. Du sprichst doch Deutsch, oder?” Diesen Satz höre ich Samstag nachmittag von der italienischen KĂŒnstlerin Basca in akzentfreiem Deutsch. Ich lĂ€chle. Als sich meine Verwirrung gelegt hat, zeige ich ihr, dass ich einen kleinen Teil ihrer Kunst schon auf Facebook mit “Die schönsten DĂŒbel des Millerntor Stadions” betitelt habe. Jetzt lĂ€chelt sie.

Die fĂŒnfte Ausgabe der Millerntor Gallery ist seit Sonntag vorbei und das Leitmotiv der Veranstaltung “art creates water” bestĂ€tigt sich zu jedem Augenblick in meinen Augen, wenn ich an die wundervollen Tage im Millerntor Stadion zurĂŒck denke.

Konzept

Das hinter der Kunstausstellung stehende Konzept klingt nĂŒchtern: KĂŒnstler verkaufen ihre Werke und 70% der Erlöse gehen als Spende an Viva con Agua, die damit die Wasserversorgung in einigen afrikanischen LĂ€ndern verbessern. Wer sich nur mal eine halbe Stunde mit den GeschĂ€ften einiger Weltkonzerne rund um Wasser – ganz vorne NestlĂ© – beschĂ€ftigt, muss die Arbeit von Viva con Agua schon per se lieben. Diese Ausstellung ist aber so viel mehr als nur ein Spendenmarathon. Ich hatte dieses Jahr das VergnĂŒgen die Veranstaltung mit meiner Kamera dokumentieren zu dĂŒrfen.

Ich habe in den sechs Tagen der Millerntor Gallery inklusive Pre-Pre-Opening und Pre-Opening ausschließlich nette Menschen getroffen und viele interessante GesprĂ€che gefĂŒhrt. Dabei bin ich jeden Tag 10km durchs Stadion gegangen und war Abends echt fertig. Und dann kommst du mit einer Ă€lteren Dame ins GesprĂ€ch, die dir erzĂ€hlt, dass in ihrem Dorf die Menschen 10km gehen mĂŒssen, um zu einem Wasserloch zu gelangen. In Uganda haben gerade mal rund 40% der Bevölkerung Zugang zu sanitĂ€ren Anlagen. Trotz aller sympathischen Aufforderungen schaffen es trotzdem Besucher der Millerntor Gallery, die Toiletten ohne HĂ€ndewaschen zu verlassen.

Festival

Von außen mag die Millerntor Gallery zunĂ€chst wie Kunst an ungewöhnlichem Ort plus Livemusik erscheinen. Es lohnt sich aber ein genauerer Blick. Der Festival-Charakter erleichtert die AnnĂ€herung an den GesprĂ€chspartner. Und alle unterhalten sich auf Augenhöhe. Die Unscheinbarsten haben vielleicht die tollsten Geschichten zu erzĂ€hlen. Gleich am ersten Tag lerne ich Papa Shabani kennen, der mich mit seiner Haarpracht an einen aus den Simpsons erinnert. Er wird mir als “Praktikant bei Viva con Agua” vorgestellt. Seine ausgestellten Bilder machen mir allerdings schnell deutlich, dass er ein toller Portraitfotograf ist. SpĂ€ter erfahre ich, dass er schon zwei Mal den World Press Award in Uganda gewonnen hat. Zuletzt mit einer Serie “Black and White” ĂŒber Albinos, was in Uganda eine andere Dramatik als in Europa hat. Schau doch mal auf seine Homepage.

Nach dem Konzert von Nico Suave stellt mir sein Haus- und Hoffotograf Pascal Kerouche Oscar vor. In dieser Sekunde ist nur ein Überreichen der Visitenkarten möglich. Aber am nĂ€chsten Tag laufen Oscar und ich uns beim Konzert von Abramz wieder ĂŒber den Weg. Es ist erst der zweite Tag und ich habe schon so viele neue Menschen kennengelernt, dass ich Oscar erst erkenne, als er mir seine Visitenkarte ĂŒberreichen will. Wir unterhalten uns wegen weiterer Termine nur kurz. SpĂ€ter sehe ich, wie bei Secret Wars im Battle Team mit Basca malt. Ich werde neugierig. Fotograf, Maler, was ist da noch? Endlich finden wir die Zeit uns lĂ€nger zu unterhalten. Oscar kommt aus der Breakdance Szene und was ich dann auf seinem Handydisplay sehe, verschlĂ€gt mir die Sprache. Er stellt in Museen Bilder von Breakdancern in Uganda aus. Auch die Washington Post hat ihn schon gefeatured. Da seine Webseite nach eigener Aussage nicht auf dem aktuellen Stand ist, empfehle ich dich ĂŒber seine Facebook Seite informiert zu halten. Lohnt sich!

Solche Geschichten erlebe ich am laufenden Band. Wenn sich die Inspiration aus der Millerntor Gallery in den Rasen vergraben könnte, wĂŒrden die braun-weissen Kicker uns nĂ€chste Saison zurecht singen lassen “ZuckerpĂ€sse, Zaubertore, Fußballgötter allesamt, Kurzpassspiel und Übersteiger, so kriegt das nur einer hin…” Da diese Übertragung aber nicht klappt wird der Gesang wohl wieder nur Parodie bleiben.

Skandal?

Samstag tritt einer der Superstars aus der ugandischen Musikszene auf. Wegen Gewitters leider nicht auf der großen BĂŒhne, sondern nur auf der Kleinen im Übergang zwischen SĂŒd und HaupttribĂŒne. Das hat aber wohl zur Folge, dass die Anwesenden einen vieldiskutierten Auftritt erleben. Bebe Cool holt nĂ€mlich recht frĂŒh im Konzert eine junge Frau auf die BĂŒhne, die unvermittelt sehr eng mit ihm tanzt. SpĂ€ter google ich twerken. Auch ohne zu googlen wird mir sofort klar, dass das zu Sehende zu Diskussionen fĂŒhren wird. Als die junge Frau dann allerdings ihre Performance auf dem Kopf stehend perfektioniert, denke ich an eine abgesprochene professionelle Darbietung. Das macht es nicht unbedingt besser, aber bei einem multikulturellen Ereignis muss man auch mit GrenzĂŒberschreitungen rechnen. Ich entscheide mich trotzdem das Bild erst heute und in dem dargestellten Kontext zu veröffentlichen. SpĂ€ter lerne ich Bebe Cool als umgĂ€nglichen Profi kennen. Er posiert mit den geschminkten Jungs von Ramba Zamba im Pinkroom. Das Bild, das Michael Fritz auf seiner Facebook Seite veröffentlicht, wĂŒrde in Uganda viel grĂ¶ĂŸere Diskussionen auslösen. HomosexualitĂ€t ist in Uganda nĂ€mlich ein absolutes Tabuthema. Das AuswĂ€rtige Amt gibt entsprechende Hinweise in seinen landesspezifischen Sicherheitshinweisen.

Millerntor Gallery

Das Thema der Millerntor Gallery #5 war ja „unfamiliar“ und vielleicht war der Auftritt von Bebe Cool der eigentliche Millerntor Gallery Moment. Die Organisatoren schrieben ja im Vorfeld:

„Unfamiliar“ kann etwas Seltsames, Unvertrautes, Irritierendes und auch Inspirierendes sein. Das Millerntor Gallery Kollektiv will damit Neugier wecken und soziale Themen ansprechen. Neu oder alt, schwarz oder weiß, kommerziell oder gemeinnĂŒtzig und alles was dazwischen liegt: es ist alles eine Frage der Perspektive. Ein Wechsel der Perspektive kann manchmal auch die Sache selbst verĂ€ndern.

Die Millerntor Gallery #5 war sehr vielseitig, in allen Belangen. Ich bin froh, ein Teil von ihr gewesen zu sein. Ich habe neue Freunde gefunden. Danke! An alle! Ich liebe euch…

  1. Hach, Stefan, wir lieben dich auch. Das ganze Festival war wundervoll und es war toll, dich in Action zu erleben, mit dir plaudern zu können und jetzt die Bilder zu sehen!

  2. Moin
    hast Du zufĂ€llig auch so tolle Bilder von der GĂ€ngeviertel-Wohnung gemacht? und könntest die (unter Namensnennung) zur VerfĂŒgung stellen? Danke und weiter so

    1. Nein, da war ich nur kurz drin. Da fĂŒhlte ich mich mit Kamera nicht willkommen und eher wie ein Voyeur. Es war ja auch sehr privat dort.

  3. Danke fĂŒr die interessante Schilderung und die wirklich unglaublich tollen Bilder! Wieso war ich eigentlich noch nicht dort? (Weil es nach Sport klingt 😉 ) Das wird sich beim nĂ€chsten Mal Ă€ndern, denn dieser Post hat mich richtig neugierig gemacht.

    1. Freut mich, dass ich dich neugierig gemacht habe. Übrigens: kaum etwas, was im Millerntor Stadion stattfindet, hat was mit Sport zu tun 😉

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