Leica macht glücklich – Teil 3

Sicherlich die sinnloseste Anschaffung eines Objektivs, die ich jemals getätigt habe. Das 50mm Objektiv mit Offenblende 0,95 und dem Beinamen „Noctilux“ ist schwerer als die Kamera und verdeckt das untere rechte Viertel des Suchers. Die Offenblende ist eh nicht zu benutzen, denn das bedeutet heftige Augenkrämpfe beim Versuch den Fokus zu treffen. Im Nahbereich bei einem Meter Abstand beträgt der Schärfebereich gerade mal 2 Zentimeter. Außerdem sind die CAs (Farbränder an den Kanten zwischen Licht und Schatten) so ziemlich die dicksten, die ich jemals gesehen habe. Mit Gegenlicht kann die Optik auch nicht umgehen – da gibt es regelmäßig so komische Farbkreise im Bild. Bei Tageslicht ist die Linse ohne zusätzliche Graufilter überhaupt nicht verwendbar. Die Randunschärfen sind bei Offenblende so heftig, dass sie selbst bei den kleinen Bildern im Web nicht wegzuleugnen sind. Nie habe ich herzhafter über eine lobpreisend gemeinte Formulierung eines Herstellers gelacht:

Die für ein derart lichtstarkes Objektiv beachtlich geringe Vignettierung beträgt bei voller Öffnung im Kleinbildformat maximal, d.h. in den Bildecken, ca. 3,2 Blendenstufen.

Fazit: es gibt überhaupt keinen Grund, für ein 50mm Objektiv 9000€ auszugeben. Schon nicht mal, wenn Leica drauf steht.

Noctilux
Das 50mm f/0.95 Noctilux wird in einem edlen Schächtelchen geliefert.

OK, mal im Ernst: das Noctilux ist eine extreme Linse. Deswegen werden Standardtests ihr nicht gerecht. Standardbeschreibungen auch nicht. Die Linse ist von vorne bis hinten etwas besonderes. Sie deckt jeden Fehler des Fotografen kompromisslos auf – aber wer sie beherrscht, wird mit Abbildungen belohnt, die auf Grund der besonderen Bauweise so mit anderen Linsen unvorstellbar sind. Ich bin auch nach rund 2000 Auslösungen weit davon entfernt, diese außergewöhnliche Optik zu meistern. Ich habe im letzten Monat eine Ahnung davon bekommen, was sie mir ermöglichen kann. Und manchmal hatte ich einfach nur Glück…

Das Noctilux hat seinen Namen unter anderem deswegen, weil es die Nacht zum Tag macht. Oder mit den Worten von Leica:

Beim Einsatz in der Available-Light-Fotografie übertrifft das Objektiv die Wahrnehmungsfähigkeit des menschlichen Auges.

Und tatsächlich fotografiere ich eine Polizeistreife im Gefahrengebiet bei der Kontrolle von Passanten bei ISO2500.

ISO2500 - 1/30s - f/0.95
ISO2500 – 1/30s – f/0.95

Bei einem normalen 50er mit der anständigen Offenblende von 1.4 hätte ich bei gleicher Belichtungszeit ein etwas dunkleres Bild bei ISO5000 machen können. (f/0.95 sind lt. Leica 11% mehr Licht als f/1.0 – also eine drittel Drittelblende Siebtelblende, was in ISO-Werten schlecht angegeben werden kann.) Mit der Offenblende eines guten Standardzooms bin ich bei Blende f/2.8 dann schon bei ISO20000! Das verdeutlich die Möglichkeiten ziemlich gut, die ein Noctilux eröffnet.

Tagsüber ist das Leica Noctilux-M 1:0,95/50 mm ASPH dann allerdings schnell am offenblendigen Limit. Zusammen mit dem Standard-ISO-Wert 200 und der kürzesten Belichtungszeit von 1/4000s bei der Leica M (Typ 240), sind Graufilter besonders im stets sonnigen Hamburg die ständigen Wegbegleiter. Natürlich kann die Linse mit 60mm Durchmesser nichts mit Standardgraufilter anfangen. Die Durchmessersonderlinge kosten deswegen selbstverständlich ein paar Euros mehr. Eine Leica zu besitzen ist eben zu jedem Zeitpunkt etwas besonderes.

Was mich an dieser Linse wirklich fasziniert, ist die Dreidimensionalität der damit fotografierten Bilder.

Den 2cm tiefen Schärfebereich, den diese Linse bei Offenblende bei einem Meter Abstand ermöglicht, optimal genutzt.
Den 2cm tiefen Schärfebereich, den diese Linse bei Offenblende bei einem Meter Abstand ermöglicht, optimal genutzt.

 

Wenn ich mir eine neue Linse gönne, halte ich sie auch immer einfach mal in die Sonne und schaue was passiert. Einer der wenigen Gründe, wieso ich mein Nikon AF-S 50mm f/1.4 nicht schon längst verkauft habe: ich nutze es bei Hochzeiten, um schöne Lens Flares zu bekommen. Ich denke, ich habe für diesen Verwendungszweck einen neuen Favoriten gefunden. Diese symmetrischen kreisrunden Flares sind nun wirklich zum Niederknien.

Nocti
Lensflare beim Noctilux

 

Überhaupt geht das Noctilux mit seinen 11 Blendenlamellen mit Lichtquellen sehr interessant um. In der Mitte schön rund und weich, an den Rändern etwas scharfkantiger und leicht hervorgehoben. Ich habe in einem Test schon festgestellt, dass kleine Lichtquellen bei geschlossener Blende herrliche zahlreiche Sternenstrahlen ergeben – allerdings habe ich noch keinen Grund gefunden, die Blende beim Noctilux zu schliessen. 😉

Bokeh vom Noctilux
Leicht ausgeschnittenes Bild von Headphonelover René – zeigt das charakteristische Bokeh der Linse

 

Für ein 50er ist auch das Bokeh von besonderer Qualität. Es sieht fast gemalt aus. Ein ähnlich wirkendes Bokeh habe ich bis jetzt nur an meinem geliebten Nikon 200mm f/2 gesehen.

Sandra auf der Brücke über den Rondeelkanal
Sandra auf der Brücke über den Rondeelkanal

 

Wenn dich die gezeigten Beispiele noch nicht überzeugen, dann ist es nun Zeit für etwas Pixelpeeping. Ich habe bei meinem Spaziergang mit Wibke, Olli und den Hunden ein Schnappschuss von Wibke mit Hund Hendrix gemacht.

Schnappschuss von Wibke mit Hund Hendrix
Schnappschuss von Wibke mit Hund Hendrix

 

Sicherlich kein fotografisches Meisterwerk – bei in Spiellaune befindlichen Vierbeinern auch nicht so einfach. War auch nicht das Ziel 🙂

Wenn du weißt, wo du hinschauen musst, dann kannst du den für diese Linse sehr typischen Schärfekreis ganz gut erkennen. Schau mal Richtung Rasen: dieser Bereich in dem ich Schärfe erwarten kann ist mittig und fast kreisrund. Der Rand ist einfach unscharf – das ist nun bei fast allen Linsen in diesem Brennweitenbereich üblich, das Otus mal ausgenommen. Diese Randunschärfe nimmt ziemlich schnell ab, wenn ich die Blende leicht schliesse. Natürlich ist das 50er Noctilux keine Architekturlinse, aber ab Blende 2 sind auch die Ränder ordentlich scharf. So, jetzt kommt das Pixelpeeping! Hier ein 100% Ausschnitt von obigen Bild mit Wibke und Hendrix

100% Crop von obigem Bild - fotografiert bei Offenblende
100% Crop von obigem Bild – fotografiert bei Offenblende

Offenblende! f/0.95! Schau Dir diese Plastizität und diese Schärfe an. Zum Beispiel bei den feinen Strukturen am Handschuh, die Nähte, der Rand vom Ziffernblatt der Uhr. Aus rund zwei Meter Entfernung ist das auf höchstem Niveau. Und wenn ich die Blende leicht schliesse, wird es noch schärfer! Ich habe sowas noch nicht gesehen.

Das Noctilux ist eine in allen Belangen einmalige Linse. Ich bin froh, dass ich dieses Luder von Objektiv habe. Und ab jetzt zwinge ich mich, die Blende auch mal zu schliessen…

Zum Ende meiner persönlichen Sicht in drei Teilen zu meinem Weg zur Leica, die Leica Kamera M (Typ 240) und das Leica Noctilux Objektiv möchte ich den Großmeister Henri Cartier-Bresson zitieren, der seine wunderbaren Bilder ohne die vorzügliche Qualität von heutzutage üblichem Equipment schaffte:

On peut faire n’importe quoi avec le Leica.

Mit einer Leica kannst du alles machen…