Ich sitze mit meiner Liebsten in einem der vielen wunderbaren, aber leicht versteckten Cafés in Lissabon und gemeinsam genießen wir unaussprechliche Leckereien nach einer anstrengenden Treppentour. Im Augenwinkel beobachten wir einen gutgekleideten Menschen mit einem altertümlichen Gerät, das es ermöglicht, Musik mobil zu hören und in dem sich eine silberne Scheibe schnell dreht. Er geht von Tisch zu Tisch, spricht freundlich mit den Gästen und streckt ihnen seine simplen In-Ohr-Kopfhörer entgegen. Hin und wieder endet das Gespräch mit einem Foto für’s Familienalbum – meistens in Boxerpose. Das Treiben verstehe ich nicht, aber ich habe mich in den paar Stunden in Lissabon daran gewöhnt, nicht alles zu verstehen.
Als wir unsere köstliche Kuchen verspeist haben, steht der großgewachsene Mensch plötzlich neben uns. „I have music for you and if you don’t like it, we will still be friends.“ Er strahlt und seine Hand berührt mich jovial an der Schulter.
Er zeigt auf die CD und führt sich kurz ein. Er ist Santos Cabral und er schreibt spirituelle traditionelle akustische Musik – was für ein Wortungetüm. Es ist kapverdische Musik. Er singt in der fünfköpfigen Band „Guents dy Rincon„. Ich habe nun die Kopfhörer in meinen Ohren und höre des erste Lied der CD. Währenddessen unterhält er meine Frau. Mir gefällt das erste Lied nicht. Das zweite auch nicht. Ich gebe die Kopfhörer meiner Liebsten, die mich nur verständnislos anschaut. „Listen to song number three – it’s totally different.“ Stimmt, das gefällt mir. „Listen to the next song – it’s totally different.“ Das weitere „totally“ in dem Satz halte ich für übertrieben, aber das Lied gefällt mir auch. Meine Frau schaut immer noch verständnislos. „My husband likes jazz music“, sagt sie. Seine Augen leuchten „that is jazz music“. Es ist mir klar, dass ich aus der Nummer nicht mehr rauskomme und ich überlege mir, ob ich mich dem Verkaufsgespräch überhaupt entziehen will. Immerhin mag ich afrikanische Musik und mit kapverdischer habe ich mich auch schon beschäftigt.
Mittlerweile gefällt mir auch die Musik der CD und Santos Cabral ist ein gewinnender Mensch.
Wir unterhalten uns über seine Musik. Fröhliche Musik über das Miteinander von Mensch und Tier. Positive Lieder. Außerdem braucht er Geld, um wieder ins Studio gehen zu können. Er möchte gerne weitere Lieder auf eine neue CD veröffentlichen. Ich kaufe – vielleicht das erste Mal seit 10 Jahren – wieder eine CD, bekomme eine Widmung und 10 Sekunden für ein Bild. Dann zieht er zum nächsten Tisch. Später verabschiedet er sich höflich von allen im Café.
Zurück in Deutschland versuche ich mehr über „Guents dy Rincon“ zu erfahren. Es gibt eine MySpace-Seite mit drei Liedern zum Anhören. Und eine kleine Seite auf Facebook. Das war’s: kein Amazon, kein iTunes. Puh – was ein brachliegendes Potenzial. Und wie mühselig dieses etwas andere Vertriebskonzept ist, mit einem CD Spieler durch Cafés zu gehen und seine CD an den Mann und an die Frau zu bringen. Aber wie ehrlich ist dieser Weg auch: keine Werbung, kein Social Media Gedöns – überzeugen durch Präsens.
Jetzt sitze ich hier und überlege mir, was es für Künstler ohne Vertrag mit einem Plattenkonzern kostet, die eigene Musik auf iTunes oder Amazon vertreiben zu können.
Dabei höre ich „Guents dy Rincon“ und habe schon Sommer im Herzen…