Inspiration oder Ideendiebstahl

Jeden Sonntag poste ich Links zu Fotografen, die mich inspirieren. Ich habe damit begonnen, weil mein Bauch mir gesagt hat, dass es eine gute Idee ist, Inspirationsquellen mit meinen Lesern zu teilen. Manchmal – wenn mein Bauchgefühl vorweg gerannt ist – fängt mein Kopf irgendwann an, über mein Verhalten nachzudenken und ich bekomme die Chance mein Verhalten zu hinterfragen. Was mache ich da eigentlich mit meiner Kamera?

Immer wieder entdecke ich faszinierende Bilder und überlege mir, warum sie mich faszinieren. Ich versuche das Bild nach seinen magischen Inhalten zu entschlüsseln, um selbst bessere Bilder machen zu können. Und wenn ich beim nächsten Mal ein ähnliches Bild fotografiere, frage ich mich immer wieder: „war das jetzt Inspiration und war das Ideendiebstahl?“ Das habe ich bei diesem Ringbild schon, wenn auch zu verkürzt, angesprochen.

„Geklaut“ wird ständig. Nicht nur in der Fotografie. Kennst Du die wunderbare Serie „Everything is a remix„? Zum Beispiel mit Anmerkungen zu Tarantino oder Matrix. Aber wurde da wirklich geklaut oder dienten die Vorlagen als Inspiration? Inspirieren wir uns alle nicht ständig gegenseitig? Gibt es überhaupt noch wirklich neue Idee in der Fotografie?

Neulich sah ich das Bild von Philippe Halsman von einem springenden Pärchen – wie viele Hochzeitsfotografen haben schon mal springende Pärchen fotografiert? Ja, auch ich 🙂
Das Bild von Philippe Halsman ist von 1959.

Ich bin der festen Überzeugung: es war alles schon mal da! Es gibt nichts Neues in der Fotografie mehr. Oder zumindest nicht mehr viel Neues…

Was es gibt, sind Fotografen, die eine Idee so zur Perfektion treiben, dass man glaubt, sie hätten es erfunden. Bei meinem ersten Sonntagslink (ja, die Idee ist geklaut) habe ich Dir Keith Loutit vorgestellt, der dank Tilt/Shift Linsen Miniaturwelten entstehen lässt. Was ihn auszeichnet ist, dass er diese Art der Bilder zu einer Perfektion getrieben hat, die grandios ist. Aber ist es auch seine Idee? Wusstest Du, dass David Levinthal mit Spielzeugfiguren (nicht nur) Kriegsszenen nachgestellt hat? Also genau den umgekehrten Fall. Und das Mitte der 1970er Jahre…
Oder nehmen wir Ryan Brenizer und seine Paar-Panoramen. Diese Art zu Fotografieren gab es auch schon vorher – so weiß ich von einigen Ripke-Aufnahmen, die so entstanden sind, auch wenn es nirgendwo auf den Bildern drauf steht, aber wer nur begrenzte Megapixel in seiner Kamera zur Verfügung hat, aber großformatig drucken muss, muss sich auch zu helfen wissen.

Ryan Brenizer hat seine Art diese Bilder zu erstellen perfektioniert, beschleunigt und vor allem: geteilt. Ich habe mich mit ihm über die Frage „Inspiration oder Ideendiebstahl“ unterhalten, als ich im März mit meiner Liebsten vor seiner Kamera stand. Er drehte die Frage in der Richtung um und sagte: „wenn Du es nicht teilst, wird es dir geklaut werden – und zwar vom eignen Gefühl her“.

Und genau das stimmt! Nicht umsonst wird bei den Paar-Panoramen von Brenizer-Panos gesprochen. Weil er es geteilt hat. Hätte er es für sich behalten, würde er jedes Mal, wenn er ein solches Panorama sieht, fühlen, dass es ihm geklaut worden wäre.

Ohne es so schön auf den Punkt bringen zu können, ist Ryan’s Ansatz grundsätzlich mein Antrieb diesen Blog zu betreiben. Ich teile gerne. Freue mich über Fragen. Freue mich, wenn ich weiter helfen kann. Und über die Frage von Benjamin, ob die auf der Knackscharf Tour gezeigte Idee der Ringblitzbilder von mir geklaut sei, konnte ich echt schmunzeln.

Noch zwei weitere wichtige Punkte in der Frage „Inspiration oder Ideendiebstahl“ nennt meiner Meinung nach Jasmine Star, erfolgreiche Hochzeitsfotografin aus Kalifornien. Wenn Du kopiert wirst, warst Du für jemanden eine Inspiration. Das solltest Du als Auszeichnung sehen. Noch wichtiger ist aber, dass die Kopie für den Kopierten ein Anschub bedeutet, besser zu werden. Nur wenn Du Dich weiterentwickelst, wird die Kopie weiterhin nur eine Kopie sein, aber Du das Original. Bleibst Du stehen und die Kopie überholt Dich, wird sich niemand an Dein Original erinnern.

  1. Wohl wahr Stefan …. wo darf ich unterschreiben. 😉
    Nee mal im Ernst, selbst die großen Meister der Malerei haben sich gegenseitig kopiert und wie oft wurden die Beatles kopiert.
    Ich würde es an Stelle des „Kopierten“ als Bestätigung oder auch Genugtuung empfinden, das ich etwas geschaffen habe, was andere auch „haben“ wollen. 😀
    Aber erklär mir mal wie du beideinem wirklich geilen Foto die Titanic ( Schornsteine)in den Backgruond bekommen hast. ;-)))
    gruß Frank

  2. Toll geschrieben, kann ich genau so teilen!
    Gerade der letzte Absatz zeigt einem doch, dass es nicht ums kopieren geht, sondern darum von einander auch zu lernen. Wer dabei stehen bleibt ist dann auch selbst schuld. 🙂

  3. Mir fällt noch der „Kult“-Film Blowup
    http://de.wikipedia.org/wiki/Blow_Up
    ein. Ich hatte irgendwo mal (sinngemäß) gelesen:

    Wer inspirierte Thomas, den namentlich keinmal genannten Modefotografen im Film, von welchem Fotografen hat er eine Arbeitsweise kopiert? Oder inspirierte der Schauspieler mit seiner – gespielten – Arbeits-/Fotografierweise andere – echte – Fotografen? Die dann einfach den Thomas aus Blowup nachmachten, kopierten…

    RJ

  4. ich würde erst garnicht von „ideen klauen“ reden. ideen verbreiten sich, wenn es leute gibt, die sie gut finden. oder wie heine sagt: „wir ergreifen keine Idee, die Idee ergreift uns“

  5. Ein schöner Artikel Stefan. Ich glaube eh, dass es schon alles gegeben hat. Gibt so einen Spruch: Wer Gitarre spielen will, zupft auch erst die Beatles nach, bevor er irgendwann etwas eigenes produziert. Selbst die Panoramen mit geringer Schärfentiefe gab es schon vor Brenyzer, er hat sie nur bekannt gemacht. Viel schlimmer als etwas zu kopieren finde ich sich hinzustellen und zu behaupten, man hätte diese Idee gehabt und dann einen Anspruch darauf zu erheben.
    Lustig, dass Du auch schon die Ringblitzbilder gemacht hast. Ich habe sie z.B. hier her:

    1. Ach siehste, den Link kannte ich noch gar nicht. Und interessant, dass er zur gleichen Zeit auf die Idee gekommen ist, Fisheye mit Ringblitz zu verknüpfen. Aber ich habe dafür die Sonnenblende meines 10,5ers geopfert 😉

  6. Super Artikel Stefan. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Ich glaube ja, nur wer ‚teilt‘, kommt im Leben weiter. Zumindest in der Welt von 2011.

    Das lerne ich täglich in meinem Beruf, und geniesse es in meinem Hobby.

  7. Du hast vollkommen Recht! Wunderbarar Artikel.

    Wenn Deine eigene Idee kopiert wird, bist Du erst mal verärgert. Ist mir selbst passiert. Tage vor dem Ereignis (Überfahrt eines Kreuzfahrtschiff über die Ems) bin ich los und habe eine Stelle gesucht, von der aus ich ich Schiff genau dann perfekt fotografieren kann, wenn es über dem Emstunnel fährt, während unten die Autos in den Tunnel fahren. Das Bild hat geklappt und wurde der Aufmacher auf der ersten Seite. Ein halbes Jahr später hat ein Kollege einer anderen Zeitung dieses Bild ebenfalls gemacht. Von der gleichen Stelle, die ich lange gasucht hatte.
    Zunächst verärgert habe ich mir hinterher gesagt: wenn Dich jemand kopiert, dann kann Deine Idee ja nicht so schlecht gewesen sein.

  8. Ein schönes Plädoyer fürs Teilen.
    Auch von Ryan Brenizer stammt die Aussage, dass man Wissen heutzutage sowieso nicht geheim halten kann und es daher nützlicher ist, wenn man es aktiv teilt.
    Das ist auch mein Ansporn beim Bloggen oder Bücher schreiben. Und das sehen bei weitem nicht alle so, auch wenn hier nur positive Kommentare stehen.

  9. Sehr schön geschrieben, so funktioniert Kunst seit je her. Ständig das Besondere zu wollen kann auch verrückt machen. Viel schöner ist es jemandem mit einem guten Foto zu erfreuen, egal, ob irgendwann irgendwer schon einmal ein Ähnliches gemacht hat. Es ist bei Fotos immer genau ein einziger kurzer Moment und der gehört den Beteiligten!

    1. Ich finde, das kommt auf das Motiv an. Es gibt genügend Leute, die meinen, kreativ fotografieren zu können, nur weil sie andere Ideen kopieren.
      Mir würde es zum Beispiel nie einfallen, ein Hochzeitspaar im Sprung zu fotografieren. Ich finde das Motiv abgedroschen und für mich stellt diese Szene z.B. auch keinen wirklichen Bezug zur Hochzeit dar.

  10. Da habe ich noch einen. Ich bitte aber um Nachsicht, wenn ich große Musiker/Komponisten/Genies verwechselt habe. Angeblich soll mal einer an Beethoven bemängelt haben, dass er die Passage x aber von Johann Sebastian Bach kopiert habe. Beethovens trockene Antwort: „Von wem den sonst…“ Da wusste ein Genie das andere Genie sehr wohl zu schätzen.

    RJ

  11. Ich bin durch Zufall auf deinen Blog gestossen und finde ihn sehr inspirierend 😉
    Ich habe mir lustigerweise auch unlängst Gedanken zu dem Thema gemacht. Aus der Sicht des Photographen ist es doch meistens so, dass wir ein Bild sehen und uns fragen: „Wie hat er das gemacht?“. Und wenn wir Glück haben, treffen sich in unserem Kopf zwei Ideen, die so noch nicht kombiniert wurden. leider haben die wenigsten so viel Glück…

  12. Ich empfinde es auch als gut und wichtig Ideen zu teilen. Aber für den inspirierten Fotografen ist doch auch wichtig, was er aus der Idee macht.

    Ein Bild erst einmal 1:1 zu kopieren sollte im besten Fall der Anfang für neue Ideen sein. Die Ursprungsidee wird verändert, optimiert, auf sich selbst zugeschnitten. Mit der Idee arbeiten und anschließend neu teilen. So stelle ich mir eine gute Inspiration vor. Das haut nicht immer hin … ich weiß. :o)
    Als Fotograf sollte man jedoch den Anspruch haben, Bilder nicht 1:1 zu kopieren (wie Ralf es oben angesprochen hat). Das wäre nichts für mein Selbstwertgefühl. Aber, wie gesagt, die Grundidee zählt.

    Ich persönlich mag die Brenizer-Methode übrigens nicht und habe das Gefühl, damit ziemlich allein auf weiter Flur zu stehen. Nun ja … sie geben mir eben nicht den Kick und wirken mir zu unecht. Für das Auge – mein Auge – seltsam. Ich kann es nicht recht beschreiben.

  13. Lieber Stefan,

    zuerstmal: Ein klasse Artikel!
    Und nun mein Senf: Ich glaube, ich hätte nicht Bass spielen lernen können, hätte ich nicht all die großartigen Basslinien meiner Lieblingsbassisten von Schallplatten und Cassetten rausgehört, geübt und nachgespielt… (Damals gab es kein Internet und Youtube und so was…) Nicht, um so zu spielen wie „…“ oder „…“, sondern, um mein musikalisches und technisches Spektrum zu erweitern.
    Als Fotograf ist es genau so: Fotos inspirieren genau wie Basslinien – und bei einigen will ich verstehen, wie sie entstanden oder bearbeitet sind. Und bei einigen versuche ich, ein ähnliches Resultat zu erreichen, um meinen fotografischen und technischen Horizont zu erweitern. Poetisch gesagt: Ich füge der Farbenpalette, mit der ich male, eine neue Farbe hinzu! (Und manchmal auch Licht oder Schatten oder eine PS-Ebene :- )
    Ich denke, kopieren ist überhaupt nicht verwerflich, sondern ein legitimes Mittel, wenn man weiter kommen will. Wichtig ist dabei nur: Weiterkommen.
    Musikalisch ausgedrückt: Wer braucht schon einen zweiten Mark King (Bassist von Level 42), wenn es ihn schon gibt??? Aber verstehen, was er da macht, ist schon gut…

    Und, Stefan, Ringblitz-Asche über mein Haupt… Aber wenn ich dir ein Lächeln auf die Lippen zaubern konnte, freut es mich 🙂

    Bassigst,
    Benjamin

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert